Dinge? Objekte? Bedeutungs­träger!

Ist das ein Sammlungs­objekt oder kann das weg?

Was macht ei­gentlich den Unter­schied zwischen einem Gegen­stand, den ich zu Hause im All­tag nutze und einem Sammlungs­objekt aus? Manchmal gibt es keinen!
Sammlungen müssen nicht immer Horte von Gold­schmuck oder Kunst­werken sein. Oft genug werden Alltags­gegen­stände zu Sammlungs­objekten.
Sammlung­en können zudem Dinge aus der Wissen­schafts­geschichte, Natur­kunde etc. be­herbergen.
Die Begriffe Gegen­stand, Objekt oder Ding zu trennen, wurde oft ver­sucht.

Hier nur ein kurzer Abriss einiger Theorien:

Dinge in Sammlungen - Geschirr
Die Hin­wendung zu Dingen als Forschungs­gegen­ständen in der Wissen­schaft seit Mitte der 2000er Jahre wird als „material turn“ be­zeichnet (Bachmann-Medick 2010). Häufig wird dieser Trend mit der zu­nehmenden Virtualität in unserer Gesell­schaft be­gründet (Wilde 2015). So seien in der sich schnell wandelnden gegen­wärtigen Lebens­welt laut Hermann Lübbes „Kom­pen­sations­theorie“ be­wahrende Institut­ionen wie Museen für das Em­pfinden der Menschen wichtiger ge­worden. Die ver­trauten (histo­rischen) Dinge in Samm­lungen und Aus­stellungen hälfen ihnen, die raschen Um­brüche in ihrer Um­welt zu ver­kraften (Lübbe 1989).
Durch ihre Materiali­tät wirken Dinge sinn­lich ein­prägsam, hinzu komme ihre Form, die auf uns wirke und die Funktion, welche auf das All­täg­liche ver­weise. Gottfried Korff nennt dies „die Ästhetik der Real­präsenz“ (Korff 2010), die durch die Originali­tät oder auch Ur­sprüng­lichkeit des Objekts ent­stehe. Ob­jekte könnten in ihrer Authenti­zität zudem Zeugen der Ver­gangen­heit oder, wenn man es etwas kritischer be­trachtet, Be­stand­teil eines Ge­schichts­konstrukts sein. In seiner Theorie des semio­tischen Kreis­laufs be­schreibt Krzystof Pomian, wie jedes Ding mit Ver­lust seiner ur­sprüng­lichen Funktion ein Abfall­produkt werden kann. Gleich­zeitig kann es eben jedoch mit neuer Be­deutung auf­geladen werden, indem es auf etwas Ver­gangenes ver­weist. Der Gegen­stand wird dann zu einem „Zeichen mit Symbol­charakter“, einem so­genannten Semiophor (Pomian 1990).

Diese Zeichen können jedoch von jeder*m Be­trachtenden, je nach Vor­wissen und sozio­kultureller Ver­ortung, unter­schied­lich gelesen werden. So gilt es in der Analyse von Dingen neben den physischen Objekt­eigen­schaften immer auch ein viel­schichtiges Be­deutungs- und Zu­schreibungs­netz zu be­trachten, das sich stets im Wandel befindet.

Dinge in Sammlungen - Vitrinen
Gerade diese Objekt­be­deutungen, von per­sönlich bis gesamt­gesell­schaft­lich, machen Dinge spannend für die Forschung. Um sie er­schließen und vor dem Hinter­grund ihres Ent­stehungs- und Nutzungs­umfeldes re­flektieren zu können, müssen die Dinge um­fang­reich dokumen­tiert werden. Objekte ohne Kontext­infor­mationen sind für Sammlungen wert­los. Es bedarf daher der inneren und äußeren Quellen­kritik, einer Be­trachtung bis ins kleinste Detail und der Recherche um­fang­reichen Hinter­grund­materials.
Dinge in Sammlungen - Werkbank
Mit den Dingen ist also Wissen ver­bunden und neben den materiellen Eigen­schaften kann die Kommu­nikation zu diesem Wissen und Objekt unter­sucht werden. Um möglichst viele Be­deutungen ent­schlüsseln zu können, müssen Objekte wie andere Quellen­typen auch be­handelt werden: es bedarf dazu der inneren und äußeren Quellen­kritik, einer Be­trachtung bis ins kleinste Detail und der Recherche umfang­reichen Hinter­grund­materials.

Literatur­empfehlungen

Schmökern über Objekte

Ludwig: Materielle Kultur

Ludwig, Andreas: Materielle Kultur, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 30.05.2011.

Wilde: Dinge sammeln

Wilde, Denise: Dinge Sammeln. Annäherungen an eine Kulturtechnik, Bielefeld 2015.

Korff: Sieben Fragen zu den Alltagsdingen

Korff, Gottfried: Sieben Fragen zu den Alltagsdingen, in: Gudrun M. König (Hg.): Alltagsdinge. Erkundungen der materiellen Kultur, Tübingen 2005.

Pomian: Museum und kulturelles Erbe

Pomian, Krzystof: Museum und kulturelles Erbe, in: Gottfried Korff/ Martin Roth (Hg.): Das historische Museum. Labor, Schaubühne, Identitätsfabrik, Frankfurt u. a. 1990.

Korff: Dimensionen der Dingbetrachtung

Korff, Gottfried: Dimensionen der Dingbetrachtung. Zum Forschungsstand in interdisziplinärer Perspektive, in: Hans Ottomeyer (Hg.): Das Exponat als historisches Zeugnis. Präsentationsformen politischer Ikonographie, Dresden 2010.

Maurischat: Konservierung und Pflege von Kulturgut

Maurischat, Sabine: Konservierung und Pflege von Kulturgut: ein Leitfaden für die Praxis, Bielefeld 2020.

Handbuch Materielle Kultur

Samida, Stefanie/ Eggert, Manfred K. H/ Hahn, Hans Peter (Hg.): Handbuch Materielle Kultur. Bedeutungen – Konzepte – Disziplinen, Stuttgart 2014.

Objektwissenschaftliche Ansätze der Sammlungsforschung

Seidl, Ernst/Steinheimer, Frank/ Weber, Cornelia (Hg.): Zur Sache! Objektwissenschaftliche Ansätze der Sammlungsforschung, Junges Forum für Sammlungs- und Objektforschung, Band 3, Tübingen 2018.

Häner: Dinge sammeln, Wissen schaffen

Häner, Flavio: Dinge sammeln, Wissen schaffen, Bielefeld 2017.

Te Heesen: Objekte der Wissenschaft

Te Heesen, Anke: Objekte der Wissenschaft. Eine wissenschaftshistorische Perspektive auf das Museum, in Joachim Baur (Hg.): Museumsanalyse, Bielefeld 2010.

Bachmann-Medick, Doris, 2010, Cultural Turns (Version 1.0).

Bachmann-Medick, Doris, 2010, Cultural Turns (Version 1.0). In: Docupedia-Zeitgeschichte 29.03.2010

Lübbe, Hermann (1989): Die Aufdringlichkeit der Geschichte

Lübbe, Hermann (1989): Die Aufdringlichkeit der Geschichte. Herausforderungen der Moderne vom Historismus bis zum Nationalsozialismus, Graz, Wien, Köln: Verl. Styria.